Rothenfelser Erklärung '80

I

Wir, die Katholische Studierende Jugend - Hochschulring (KSJ-HSR) im Bund Neudeutschland, sind ein freier Zusammenschluß christlicher Studentinnen und Studenten in der katholischen Kirche. Wir versuchen, gemeinsam unser Leben in Christus neu zu gestalten und Herrschaft Gottes in dieser Welt zu verwirklichen. Herrschaft Gottes ist alternativ zu jeder denkbaren menschlichen Herrschaft; jede Herrschaft über Menschen ist dadurch grundsätzlich in Frage gestellt. Damit stehen wir in der Tradition des Bundes Neudeutschland. Als Einzelne, als Gruppe und Verband beginnen wir, dieses politisch verstandene Christentum in Aktion und Reflexion miteinander umzusetzen.

Gruppe
Unsere Gruppen arbeiten mit verschiedenen Schwerpunkten. In allen Gruppen versuchen wir,

- füreinander offen zu sein, aufeinander zuzugehen, jeden mit seinen Stärken und Schwächen anzunehmen und die Person des anderen Über jegliches Sachinteresse zu stellen.

- die Vereinzelung, Beziehungslosigkeit und Anonymität aufzubrechen und in unseren Gruppen Gemeinschaft zu leben.

- uns gegenseitig in gemeinsamem Gespräch und Handeln auf unserem Weg zu helfen und dem einzelnen Rückhalt zu geben.

Dadurch schaffen wir auch die Voraussetzung zum Engagement des einzelnen und der Gruppe.

Verband
Gruppen und Einzelmitglieder (wenn am Studienort noch keine Hochschulringgruppe existiert) schließen sich zum Verband KSJ-Hochschulring zusammen.

Der Verband hat folgende Funktionen:

- Austausch und Kooperation der Gruppen untereinander.

- Förderung der inhaltlichen Arbeit der Gruppen und methodisch-pädagogische Hilfen.

- Interessenvertretung, Öffentlichkeitsarbeit und gemeinsame Aktion.

Aus der Verbindung mit KSJ (Schülergemeinschaft und Heliand-Mädchenkreis) und Männerring [jetzt KMF] ergeben sich Aufgaben und Chancen. Der Austausch mit ihnen korrigiert und bereichert die eigenen Standpunkte.

Zur Durchsetzung unserer Ziele arbeiten wir mit in Zusammenschlüssen, die unsere Interessen nach außen verstärken und uns Hilfen für die innerverbandliche Arbeit sind. Durch die Mitgliedschaft im BDKJ erweitern sich unsere Möglichkeiten der Interessenvertretung in Kirche und Gesellschaft.

II

Kirche
Ansatzpunkt und bleibende Mitte der Kirche ist Jesus Christus. In Jesus Christus wird uns die Chance unseres Lebens gezeigt. Wir sehen in ihm einen Menschen, der in kompromißloser Liebe Partei ergreift für den Menschen. Diese Liebe begegnet uns in den Mitmenschen, wenn wir Vertrauen, Freiheit, Hilfe und Glück schenken und empfangen. Im Leben Jesu wird Gott, das gemeinsame Ziel unserer Suche, konkret.

Kirche verwirklicht sich als Gemeinschaft der an Ihn Glaubenden. Die Gemeinschaft der Kirche ist auf dem Weg und hat Herrschaft Gottes als Inhalt und Ziel. Der Geist Gottes ist es, der die Kirche eint, hält und bewegt.

Kirche konkretisiert sich in Gemeinde. Wir verstehen unsere Gruppen als Gemeinden, die zugleich Teil der Hochschulgemeinde am Studienort sind. Hier feiern wir in der Eucharistie das Fest unserer Hoffnung: Jesus, der gestorben ist und lebt, schenkt uns seine Gegenwart und fordert uns immer neu heraus, Gemeinschaft mit allen Menschen zu werden. In Meditation und Reflexion des Evangeliums lernen wir Jesus kennen, werden mit seinem Anspruch konfrontiert und versuchen, diesen Anspruch in unserem Handeln zu verwirklichen.

Wir als einzelne und daher auch die Kirche als ganze sind immer in Gefahr zu versagen. In dieser Schwierigkeit nehmen wir unsere Mitverantwortung in der Kirche wahr:

- Die Kirche ist ständig von autoritärem Verhalten und Bürokratie bedroht. Dem versuchen wir. durch unsere Mitgestaltung entgegenzuwirken.

- Unsere Gottesdienste scheinen oft in Formen und Formeln zu erstarren. Wir wollen Gottesdienst feiern, der mit unserem Leben zu tun hat. Die Erneuerung der Liturgie ist uns daher ein ständiges Anliegen.

- Die Kirche in der Bundesrepublik Deutschland ist reich. Christus hat arm gelebt. Wir erstreben eine Kirche, die auf Reichtum und Machtmittel verzichtet und verpflichten uns, einfach zu leben.

- Die Spaltung der Christen in getrennte Kirchen ist ein Skandal, denn in Christus hat die Einheit aller Menschen ihren Ursprung und ihr Ziel. Deshalb erstreben wir die Einigung der getrennten christlichen Konfessionen und einen offenen Dialog mit allen Religionen. In unseren Gruppen sind wir offen für Menschen aller Glaubensüberzeugungen.

III

Hochschule
Hochschule soll uns auf einen Beruf und ein Leben vorbereiten, in dem wir eine hohe Verantwortung für einzelne Menschen und die Gesellschaft tragen. Anonymität untereinander und das häufige Gefühl der Vereinsamung inmitten der Studentenmassen verstärken Resignation und Gleichgültigkeit gegenüber der Hochschule. Durch ständige Vermehrung der Studieninhalte wird der Leistungsdruck vergrößert, das Hochschulstudium wird praxisfern, spezialisiert und verschult. Eindeutig abfragbares Wissen wird angehäuft, dabei wird die konsequent menschenwürdige Anwendung Übergangen. Die Bürokratisierung der Hochschule nimmt zu. Universität und Studieninhalte geraten zunehmend unter den Einfluß von Politik, Wirtschaft und Kirche.

Hochschule soll uns zu beruflichem Handeln befähigen, das sich am Menschen orientiert. Dies erfordert umfassende Bildung neben fachlicher, praxisbezogener Ausbildung.

Hochschule soll Ansprüche, die von gesellschaftlichen Gruppen kommen kritisch prüfen, aufgreifen und weiterentwickeln. Sie soll Triebfeder für Veränderung sein. Forschung und Ausbildung müssen dem Wohl der Menschheit dienen und dürfen nicht zum Selbstzweck werden oder ungerechte Herrschaftsverhältnisse stützen. Hochschule muß geprägt sein von Mitbestimmung und Mitgestaltung der Studenten.

Der Hochschulring will daran teilnehmen durch Unterstützung seiner Mitglieder, die sich in Hochschulgremien engagieren. Der Verband fördert fachinternen und fachübergreifenden Austausch seiner Mitglieder. Wir beschäftigen uns in den Gruppen mit Studieninhalten und setzen uns mit der persönlichen Situation der Studenten kritisch auseinander und versuchen, unsere Vorstellungen in die Hochschule zu tragen. In diesem Sinne initiieren wir alternative Seminare.

IV

Gesellschaft
Täglich erleben wir in unserer Welt Krieg. Hunger, Not, soziale
Ungerechtigkeit und politische Unterdrückung. Menschenrechte werden verletzt, Natur wird zerstört und Menschen gehen an Einsamkeit und Gleichgültigkeit ihrer Mitmenschen zugrunde.
Wir können und dürfen uns diesen Mißständen nicht entziehen!

Wir versuchen deshalb, durch Bewußtseinsbildung und Handeln unseren Teil beizutragen, die Welt menschlicher zu gestalten, indem wir

- unser Reden und Handeln für andere durchschaubar machen.

- Mißstände nicht hinnehmen, sondern verändern.

Dies ist nur möglich in Lebensverhältnissen, in denen Demokratie und Mitbestimmung herrschen.

Neben der Hochschulpolitik als originärer Aufgabe eines studentischen Verbandes wollen wir vor allem folgende Akzente setzen:

Schaffung eines dauerhaften Friedens,

Schutz von Natur und Umwelt durch Ökologisches Denken und Handeln,

Einsatz für eine gerechte Wirtschaftsordnung und für soziale Gerechtigkeit.

Als Christen sind wir immer neu aufgefordert, zusammen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen Gerechtigkeit zu praktizieren und diese an der Nächstenliebe zu messen.

Wir sind zu praktischen Kompromissen bereit, da wir als Christen hoffen dürfen. Dabei erwarten wir nicht alles von uns selbst, sondern vertrauen auf Christus, der unsere Zukunft ist.