Was wir wollen - Unser Programm
Nach den Zeichen der Zeit forschen - unsere Lebenswelt mitgestalten
Aufbruch in dem Bewußtsein, daß wir unser Ziel nur als wanderndes Volk
Gottes erreichen können, ist seit langem Kennzeichen neudeutscher Lebensgemeinschaft. Durch das Zweite
Vatikanische Konzil ist das wandernde Volk Gottes zum Leitbild der Kirche geworden. Die damit eröffneten
Möglichkeiten haben wir noch längst nicht ausgeschöpft.
Unsere Aufgabe besteht deshalb darin, uns die Erneuerungsbewegung des Konzils wirklich innerlich anzueignen und
mutig zu leben, damit uns mehr möglich wird, als uns heute scheint.
Gesellschaftliche Strömungen offen wahrnehmen
Wenn wir eine Festungsmentalität, die unsern Blick verengt, vermeiden wollen, müssen wir bereit sein,
über konfessionelle und politische Grenzen hinweg mit anderen Gruppen und Organisationen in einen Dialog zu
treten. Den in solchem Zusammenwirken artikulierten Anstößen und Fragen werden wir nicht
mißtrauisch ausweichen, weil sie uns nahelegen, unsere eigene Haltung zu überprüfen. Uberdies ist
ein solcher offener gesellschaftlicher Dialog Voraussetzung dafür, die befreiende Botschaft des Evangeliums
überhaupt in die öffentliche Diskussion einzubringen.
Störende Phänomene besser einordnen
Das Wissen um Wandel und Ungleichzeitigkeit hilft uns die Pluralität der Meinungen einzuordnen. Dadurch
werden sie ihren irritierenden Charakter zu einem guten Teil verlieren, die Einordnung wird uns toleranter machen.
Zugleich wird uns diese Haltung erleichtern, unsere Unsicherheiten ohne Angst auszuhalten und unsere Fehler offen
zuzugeben, um so unseren Erneuerungswillen in der Öffentlichkeit glaubwürdig bekunden zu können.
Freiheit und Gelassenheit einüben.
Zu den Menschen, die für ihren Lebensweg uns weniger vertraute, ganz persönliche Lebenskonzepte
suchen, gehören nicht selten unsere Kinder und Freunde. Diese Entwicklung wird uns nicht beunruhigen, wenn wir
ihnen die Freiheit einräumen, die sie brauchen, um überhaupt zu einer heilsbedeutenden Lebensentscheidung
zu kommen. Diese Freiheit zu gewähren, bedeutet weder zu resignieren noch den eigenen Glauben zu verraten,
sondern sie bedeutet, Gott zu vertrauen, der größer ist als die Kirche.
Möglichkeiten zum Dialog wahrnehmen
Ein von Vorurteilen ungetrübter Blick wird uns erkennen lassen, daß sich um uns und mit uns
zahlreiche Gruppen, auch solche, die sich nicht ausdrücklich unter christlichem Vorzeichen zusammengefunden
haben, solidarisch und bereit zu Einsatz und Opfer erklären, um den Herausforderungen der Nächstenliebe
zu genügen, z. B. Hungersnot, Flüchtlingselend, Krieg, Arbeitslosigkeit, Not der kinderreichen Familien,
unheilbar Kranker und Pflegebedürftiger. Mit diesen Gruppen können wir Koalitionen der Hoffnung
eingehen.
Christen sind in diesem Netzwerk der Solidarität meist gern gesehen, ja manche erhoffen sich gerade von ihnen
aus geistlichen Wurzeln gespeiste Motivation und Kraftreserven. Vielleicht ist dann auch das ausdrückliche
Glaubenszeugnis gefragt, die persönliche Antwort auf die Frage: Woher nimmst Du die Hoffnung, daß es
noch Sinn hat. Auch deshalb ist das Engagement von Glaubenden hier sinnvoll.
Die Kirche als Heimat neu erfahrbar machen
Als wanderndes Volk Gottes mit Gespür für die Zeichen der Zeit wollen wir uns nicht von dem heute
verbreiteten Pessimismus im Hinblick auf die vermeintliche Wirkungslosigkeit des Christentums entmutigen lassen. In
überschaubarem Kreis, wo man einander kennt, sich gegenseitig freundschaftlich stützt und konkret
berät und sich offen hält für neu Dazukommende, wo man in Krisen unterschlüpfen und sogar
für das eigene Versagen Verzeihung und Wege zu einem Neuanfang finden kann, da kann Kirche als Gemeinschaft
konkreten Glaubens, Hoffens und Liebens entstehen.
Wenn wir in unseren Gruppen und Zusammenkünften diese Glaubenserfahrungen machen, wird Kirche neu erfahrbar:
als Ort der Orientierung, des Engagements und der Vergewisserung des Glaubens, als Ort des Nachdenkens, des Betens
und Feierns, als Ort des sozialen Engagements, der gelebten Nächstenliebe.
Kundschafter-Rollen bejahen
In der großen Karawane der Kirche können nicht alle gleichzeitig am selben Ort sein. Deshalb sind
wir dankbar für Menschen, welche heute die Glaubenswege für morgen erkunden: die neue Lebensstile
ausprobieren, nach einer neuen Sprache und nach neuen Problemlösungen suchen und neue Formen des Betens und
der Feier des Glaubens praktizieren.
Netzwerke bilden und Brücken bauen
Befreit von dem Eindruck, einsame Toren inmitten einer selbstverständlichen Karriere- und
Konsumgesellschaft zu sein, können wir uns wirksamer auch persönlich entfalten, jeder nach seinen
Talenten. Wir können in der vorwiegend anonymen Lebensform unserer Zeit der Vereinzelung entgegenwirken, wenn
sich die Gruppen zu Netzwerken zusammenschließen und Brücken zu den unterschiedlichen Bereichen unserer
Gesellschaft schlagen, zwischen Politik und Kultur, Wissenschaft, Kunst und Glauben, Medien und Bildungswelt,
Ökonomie und Ökologie.
So soll auch das Thema des Bundestages 1994, Zukunft - nicht ohne uns, unsere christliche Verantwortung
für eine erneuerte Welt unsere Bereitschaft signalisieren, unsere Lebenswelt mitzugestalten.
Die Themen der Impulsreferate und Arbeitskreise, z. B. Denk ich an Deutschland in der Nacht bis der
Beitrag Ostmitteleuropas zu einem künftigen Gesamteuropa. Die Rolle der Universität in der
Massengesellschaft bis zu Medien - wer instrumentalisiert wen? Die weltweite Übertragbarkeit
unserer Wirtschaftsform, Fragen der Umwelttechnik und nach dem, was dem Menschen nottut,
mögen verdeutlichen, daß wir die gesellschaftlichen Strömungen wahrnehmen und bereit sind zum
Dialog, Netzwerke zu bilden und Brücken zu schlagen.
Entsprechend dem Leitgedanken unseres Bundes, Neue Lebensgestaltung in Christus, den wir gerade im
Gespräch der drei Gliedgemeinschaften für unsere Zeit neu zu interpretieren versuchen - und der als HIRSCHBERG PROGRAMM seit über 70 Jahren die verbindende Klammer zwischen den
Gemeinschaften ist, wollen wir die Herausforderungen unserer Zeit annehmen und mitwirken an der Erneuerung der
Kirche und unserer Gesellschaft, zur Bewahrung der Schöpfung und der Würde des Menschen.
Dabei orientieren wir uns an Jesus Christus und leiten von seinem Vorbild die Maßstäbe für unser
Handeln ab: glaubwürdig - verantwortlich - geschwisterlich.